Eine gar wunderliche Maschine

Die Gazetten und Zeitungen berichteten seit Tagen von nichts anderem mehr. Die Überschriften reichten von »Unseriöse Erfinder spielen mit unserem Leben, mit unserem Tee«, über »Tee ist Leben, doch was kommt danach?«, bis zu »Grandiose Apparatur: Genie will Tee revolutionieren.«

Noch reisserischer als die Titel waren die Texte, welche die neueste Erfindung, die heute Abend in der kaiserlichen Bibliothek präsentiert werden sollte, einerseits als ketzerisch, andererseits als die wahrscheinlich grösste Errungenschaft der Menschheit bezeichnete. In der Tat, der Rummel im Vorfeld war eindrücklich gewesen. Seit Wochen wurde von Arbeitern und Ingenieuren berichtet, die den Apparat in unzähligen Einzelteilen in die kaiserliche Bibliothek geschafft und dann unter höchster Geheimhaltung zusammengebaut hatten. Sie hatten Grosses geleistet, um Grosses zu vollbringen.

Maximilian lächelte. Heute Abend würde die Menschheit weder ihr eigenes Grab schaufeln, noch den Tee in Gefahr bringen. Heute Abend würde eine neue Ära eingeläutet werden. Er straffte sich, strich seinen Anzug glatt und warf einen Blick auf die Taschenuhr. In ein paar wenigen Minuten würde es so weit sein.


Die kaiserliche Bibliothek war exorbitant. Meterhohe Buntglasfenster zierten eine Seite des Raumes, während die anderen drei von riesigen Bücherregalen eingenommen wurden. In der Mitte des Raumes stand eine übermannsgrosse Apparatur von ebensolchem Durchmesser, abgedeckt mit einem beigen seidenen Tuch. Eine Absperrung aus roten Kordeln führte durch die Besuchermenge zur Maschine. Darum herum hatte sich eine erlesene Gesellschaft eingefunden. Man tuschelte, zupfte an Schnurrbärten, fächelte sich Luft zu, trank Tee aus goldverziertem Porzellan und warf neugierige Blicke auf die verdeckte Apparatur, die heute Abend Geschichte schreiben sollte.

Nun denn.

Maximilian klappte seine Taschenuhr zu, schritt den abgesperrten Gang entlang durch die Menschenmenge und machte vor der Maschine halt. Die Gespräche verebbten und wichen einer erwartungsvollen Stille. Sein Blick schweifte über edel gekleideten Damen und Herren, und sein Herz machte einen kleinen Sprung, als er Fräulein Eleonore erblickte. Er räusperte sich.

»Guten Abend, meine Damen und Herren«, begann er, machte eine wirkungsvolle Pause und fuhr dann fort: »Welch eine Freude, dass Sie so zahlreich erschienen sind. In wenigen Sekunden werden Sie die grösste Errungenschaft zu Gesicht bekommen, welche die Menschheit je geschaffen hat.«

Gespannt folgten die Blicke der Anwesenden seiner Hand, als er nach der dunkelroten Kordel tastete, die von der Decke hing.

»Ich hoffe, Sie sind bereit für das, was Sie jetzt erwartet.«

Mit einem Ruck riss er an der Kordel. Das beige Tuch hob sich und gab den Blick auf eine gigantische Apparatur mit unzähligen Leitungen, Ventilen, Anzeigen, Schaltern, Reglern, Hebeln, Antrieben, Zahnrädern, Bändern und Rohren frei. Ein ehrfürchtiges Raunen ging durch die Menge. Die Damen fächelten sich entzückt Luft zu, die Herren hoben anerkennend die Augenbrauen. Fräulein Eleonores Wangen erröteten heftig. Maximilian räusperte sich, es kehrte wieder Stille ein.

»Meine Damen und Herren, Ihrer Reaktion entnehme ich, dass Sie diese wahrlich grandiose Apparatur genauso entzückt wie mich. Lassen Sie sich versichern, das ist noch nicht alles.«

Mit einem zärtlichen Blick mass er den Apparat, der sich einen Eintrag in die Geschichtsbücher sichern würde. Maximilian machte ein paar Schritte an ihm entlang und überprüfte mit professioneller Miene einige Einstellungen. Vor einem kleinen vergoldeten Kippschalter in der Mitte der Apparatur, neben dem sich eine ebenfalls vergoldete Klappe und ein kupferner Trichter befanden, machte er halt.

»Gerne überlasse ich es Ihnen, die grosse Tat des heutigen Abends zu vollbringen, nämlich den Kippschalter umzulegen. Meldet sich jemand freiwillig?«

Natürlich hatte er damit gerechnet, dass sich alle Anwesenden mit euphorischen Handzeichen und Rufen meldeten.

»Es tut mir leid, leider kann ich nur einer einzigen Person diese Ehre zuteilwerden lassen.«

Enttäuschte Rufe wurden laut. Maximilian streckte die Hand nach Fräulein Eleonore aus.

»Mademoiselle, erweisen Sie mir die Ehre?«

Ihre mit beigen Spitzen behandschuhte Hand ergriff vorsichtig die seine. Mit ein paar wenigen Schritten stand sie neben ihm.

»Nun denn.«

Er schenkte Fräulein Eleonore sein charmantestes Lächeln, als er ihr die goldumrandete Porzellantasse abnahm und den Tee in den Trichter schüttete. Dann bückte er sich, stellte die Tasse ab und griff nach dem Eimer, der mit einem beigen Spitzentuch abgedeckt war.

»Mademoiselle, darf ich Sie bitten, das Tuch zu entfernen?«

Sie tat, wie ihr geheissen. Zum Vorschein kam ein Haufen Kohle, den Maximilian mit Schwung in den Ofen hinter sich kippte. Mit ein paar heftigen Stössen mit dem Blasebalg entfachte er das Feuer und das Innere des Kessels erhitzte sich. Maximilian beobachtete konzentriert die Anzeigen, bevor er das Hauptventil öffnete und der Dampf das grosse Schwungrad in Bewegung setzte. Zufrieden betrachtete er die arbeitende Maschine, schliesslich hielt er neben Fräulein Eleonore inne und warf einen Blick auf seine Taschenuhr.

»Mademoiselle Eleonore«, begann er mit lauter Stimme, »es ist so weit. Bitte, legen Sie den Schalter um.«

Mit zitternden Händen betätigte sie den Kippschalter. »Meine Damen und Herren. Seien Sie bereit, wenn in exakt zwanzig Sekunden Geschichte geschrieben wird.«

Aufgeregt fächelte sich Fräulein Eleonore Luft zu. Maximilian hoffte, dass sie bis zum Ende durchhielt und ihr nicht vorher schon die Sinne schwanden. Das wäre wirklich desolat.

»Wir kennen nur Tee. Wir leben vom Tee, wir arbeiten mit Tee. Unsere Maschinen werden mit Tee betrieben, unsere Wäsche mit Tee gewaschen. Ein Leben ohne ihn wäre undenkbar. Aber heute, heute katapultieren wir den Tee in eine neue Sphäre. Durch die Evolution unseres Tees werden wir einer gänzlich neuen Zukunft entgegenblicken. Unser Alltag, unser Leben wird sich grundlegend verändern.«

Maximilian machte eine dramatische Pause und zählte die letzten Sekunden. Ein Glöckchen bimmelte und die Räder, Ventile, Zahnräder und Anzeigen kamen zum Stillstand. Ein lautes Zischen erklang, als der Rest des Dampfes aus dem Inneren der Maschine entwich. Alle blickten Maximilian erwartungsvoll an. Dieser machte eine elegante Geste zur vergoldeten Klappe.

»Mademoiselle Eleonore, darf ich Sie bitten, die Lade zu öffnen und den Herrschaften den Inhalt zu präsentieren?«

Fräulein Eleonore trat einen Schritt zur Klappe heran und öffnete sie. Dann griff sie hinein und streckte ein Kristallglas mit einer transparenten Flüssigkeit in die Höhe.

»Meine Damen und Herren, hiermit präsentiere ich Ihnen die weltweit erste, vielfach angezweifelte und doch sehnlichst erwartete Herstellung … von Wasser.«

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